US HIP-HOPPER/RAPPER & DAS HOCHKUNST-ESTABLISHMENT

Wu-Tang Clan auf der Art-Basel-Messe 
Jay-Z & Marina Abramović Performance 
Kanye West & Vanessa Beercroft auf der Art Basel Miami Beach

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In vorliegender Mini-Monografie wird das Verhältnis der US Hip-Hopper/Rapper zur elitären Kunstszene ihres Landes behandelt. Dabei werden inhaltliche, traditionshistorische und vermarktungsstrategische Aspekte dieses wechselseitigen Verhältnisses analysiert, um die Beweggründe und Absichten der US Hip-Hopper/Rapper, im anerkannten Kunst-Establishment Fuß zu fassen, zu beleuchten. Dieses wechselseitige Befruchten beruht auf gemeinsamen künstlerischen und ökonomischen Interessen, welche der (vor allem US-amerikanischen) Musikindustrie und Kunstszene zugrundeliegen. Die US-amerikanische Kritikerin/Journalistin Raquel Cepeda schreibt in ihrem Buch And It Don’t Stop: The Best American Hip-Hop Journalism of the Last 25 Years (Faber & Faber Inc., London, 2014) von einer Fusion zwischen der Medienindustrie und Kunstszene, wobei sie auf die kritischen Aspekte und Gefahren dieser Liaison hinweist. Dabei spielt die allmähliche Entwicklung der US Hip-Hopper/Rapper von Kunstkonsumenten und Musikern, die von der Medienindustrie zu Marketingzwecken eingesetzt werden, zu anerkannten und etablierten, in der Kunstszene integrierten Künstlern, eine wichtige Rolle.

Bevor aber eine Subkultur mit all ihren Eigenheiten in einen Hochkultur-Kanon inkludiert werden kann, der zum größten Teil von akademischen Kunstkritikern und Kunst‑/Musikprofessoren (Harvard-, Princeton-Universität) oder etwa Musikjournalisten vorgegeben wird, müssen gewisse gesellschaftliche Vorurteile abgebaut werden. Der US-amerikanische Hip-Hop/Rap ist eine aus den Gettos der 1970er-Jahre entstandene Subkultur, welche als Reaktion auf die zunehmende Armut, Arbeitslosigkeit und Gettoisierung der hauptsächlich von Schwarzen und Afro-Karibern besiedelten Stadtteile von (zum Beispiel) New York, Detroit, Chicago oder Los Angeles verstanden wird. Die Ursprünge des Rap (Sprechgesang) werden als Old School bezeichnet, sein künstlerischer Höhepunkt wird gemeinhin Golden Age genannt. Heutzutage genießt Rap weltweite Anerkennung und Popularität der Subkultur, weshalb er umgangssprachlich mit dem Begriff Hip-Hop gleichgesetzt wird. Durch eine massive Stadtflucht der amerikanischen Mittelschicht kam es zu sozialen Spannungen. Erhöhte Kriminalität, Waffengewalt, Straßengangs, Drogenkonsum, Armut und Arbeitslosigkeit bestimmten den Alltag der schwarzen Ghettos. Um ihrem Schmerz und Leid Ausdruck zu verleihen (so wie es die schwarzen Sklaven in der Kolonialzeit auf den Baumwollplantagen durch Klagegesänge taten, was als Ursprung der populären Blues‑/Soulmusik gilt), bediente sich die urbane Jugend besagter Ghettos sozialkritischer Texte, die sie in Form von Sprechgesang (Hip-Hop/Rap) als Protest gegen die von Weißen dominierte Gesellschaft verstanden. Die Hip-Hop-Medienkultur ist jedoch von einem negativen Image behaftet: sie gilt als gewalt-, drogenverherrlichend, heuchlerisch, hedonistisch und sexistisch.

Diese ursprünglich auf der Straße ausgelebte Subkultur hat mittlerweile in die elitären Kreise der Medienindustrie Einzug gehalten. Durch gezielt eingesetzte Marketingstrategien und eine erhöhte Medienpräsenz verstehen es die Hauptakteure der Hip-Hop-/Rap-Szene, ihren Marktwert zu steigern und für enorme Plattenverkäufe zu sorgen. Mittlerweile haben Musiker, wie Jay-Z, Dr. Dre, Wu-Tang Clan, Kanye West, P. Diddy, Eminem, NWA, Snoop Dogg, Beastie Boys, Lil Kim, Queen Latifah, 50 Cent, Ice-T, Ice Cube, Public Enemy, Missy Elliott, Nenah Cherry, Cypress Hill, Busta Rhymes, Neneh Cherry, Snow, Run-D.M.C. etc. weltweit Kultstatus erreicht und werden von Fans, Kritik und Medien als angesehene Bürger gefeiert. Einen guten Überblick über die namhaften Akteure der US-amerikanischen Hip-Hop-/Rap-Szene bietet Steven Hager in seiner Monografie Hip-Hop/The Illustrated History of Break Dancing, Rap Music and Graffiti (Sr. Martin’s Press, New York, 1984).

Zwei Methoden, welcher sich diese Musiker bedienen, um als authentische Kunstschaffende in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und Kunstszene anerkannt zu werden, sind die Produktion eigener Kunst auf der einen Seite und das In-Auftrag-Geben von Kunstwerken, Performances, Ausstellungen oder Kunstmessen andererseits. Interessant zu vermerken ist, dass dieser Trend eine junge Entwicklung der vergangenen 3-4 Jahre ist. US-amerikanische Musiker sind per se Exponenten und symbolische Würdenträger von sozialen Werten, welche der Kommerzialisierung und medialen Ausschlachtung dienen. Die Unterhaltungsindustrie hat schon längst erkannt, dass durch die enorme Anzahl der Konsumenten und Fans von Hip-Hop-/Rap-Musik ein neuer Markt erschlossen wird. Aus der Diskrepanz zwischen verarmten Ghettos und millionenschweren Plattenverträgen heraus, entstehen ein Bewusstsein und eine Identität, welche konfliktbeladen sind.

Das neunköpfige New Yorker Hip-Hop-Kollektiv Wu-Tang Clan (RZA, GZA, Method Man, Raekwon, Ghostface Killah, Inspectah Deck, U-God, Masta Killa und Ol’ Dirty Bastard), das Anfang der 1990er einen frischen, düsteren und surrealen, von Martial-arts-Elementen geprägten Stil etablierte, dürfte vielen von uns ein Begriff sein. Gemeinsam mit ihrem Produzenten RZA stürmten sie mit Songs wie Protect Ya Neck, Method Man, C.R.E.A.M., Triumph oder Gravel Pit in den 1990er-Jahren die US-Charts und verkauften bis dato ca. 30 Millionen Alben weltweit. Das am 25. November 2015 vom EZCLZIV-Scluzay-Label veröffentlichte ultralimitierte Doppelalbum Once Upton a Time in Shaolin wurde als Einzelkopie über das Onlinekunst-Auktionshaus Paddle8 an den Amerikaner Martin Shkreli für einen Preis in Millionenhöhe verkauft. Eine Vertragsklausel verbietet es Shkreli, das Album in den nächsten 88 Jahren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder zu kommerzialisieren. Auch wurde auf der Art-Basel-Messe in Miami das Doppelalbum vorgestellt. Diese Präsentation ist als konzeptuelle Performance angedacht, welche die Fans weltweit in Begeisterung versetzen soll.

Diese Kunst-Kommerz-Fusion steht repräsentativ für die Entwicklung einer neuen Form von Vermarktung und Verbreitung von Hip-Hop/Rap über das Internet. Onlineauktionshäuser bieten nebst Ankauf und Verkauf von zeitgenössischer Kunst (Malerei, Skulptur, Fotografie etc.) auch exklusive „Events“ und „Liveübertragungen“ von Präsentationen. Das soziale Ansehen ihrer Protagonisten erhält eine ordentliche Image-Politur, weg von subversiver Subkultur zu autorisierter Kunst und medialer Akzeptanz.

Der zurzeit wahrscheinlich angesagteste US-amerikanische Rapper ist Musiker und Produzent Jay-Z. Mit mehr als 55 Millionen verkauften Alben weltweit dominiert er gemeinsam mit seiner Ehefrau, R & B- und Pop-Sängerin Beyoncé, beinahe im Alleingang die kommerzielle englischsprachige Hip-Hop-/Rap-Szene. Nach verschiedenen Exkursen/Ge­meinschaftsprojekten in den Bereichen Mode (Besitzer der Firma Rocawear), Film (Run – USA 2014/Regie: Melina Matsoukas), Kosmetika (Gold Jay-Z – Parfum 2013) wagte sich der Musiker auch in das Konzeptkunstmetier. Gemeinsam mit Marina Abramović, der Grand Dame der (auch) amerikanischen Aktionskunst, inszenierte er am 10.07.2013 in der New Yorker Pace-Galerie die Performance einer sechsstündigen Wiedergabe seines Songs Picasso Baby (2013 auf Jay-Zs zwölftem Studioalbum Magna Carta Holy Grail bei Roc-A-Fella Roc Nation Universal erschienen). Auch der amerikanische Kunstkritiker Jerry Saltz, Hip-Hop-Pionier und Graffiti-Künstler Fab 5 Freddy, Filmemacher Jim Jarmusch, verschiedene Musikjournalisten, Schauspieler, Performance-Künstler, Neugierige und Fans waren zugegen. Die Rap-Performance setzte sich sowohl mit dem Medium Kunst in einem musealen Rahmen als auch mit Elementen der Hip-Hop Moves und des Rappens auseinander. Auf einem abgegrenzten Podest rappte Jay-Z zu den Klängen seines Songs vor den zahlreichen Schaulustigen. In ausgelassener Stimmung wurde der Safe-Bereich der kleinen „Bühne“ aufgebrochen und alle Beteiligten tanzten, rappten und performten zum Sound.

Selbstverständlich sind solche Projekte immer mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Sowohl die elitäre Kunst als auch die Hip-Hop-Musikindustrie wurden von einer extremen Kommerzialisierung zueinander geführt. Es handelt sich dabei um Marketingstrategien und Medienpräsenz, welche das Image des Künstlers aufpolieren und implizit seinen Marktwert steigern sollen.

Konzeptkunst und Malerei sind an der amerikanischen Ostküste bereits seit Jahrzehnten zu einer Sparte zusammengewachsen, welche besonders durch die New Yorker Konzeptkünstler (Sol LeWitt, Joseph Kosuth, Jeff Koons, Victor Burgin, Mel Bochner etc.) der 1960er-Jahre eine Hochkonjunktur erlebt hatte. Aus der Tradition vieler zeitgenössischer genuiner Maler aus New York trat auch der visuelle Künstler George Condo hervor. Malerei, Zeichnungen, Skulpturen und Drucktechniken zählen zu seinen Medien. Er nennt seinen surrealistischen Stil „psychologische(n) Kubismus“. Seine Malereien (The Cracked Cardinal 2001; The Cloudmaker 1984) sind in vielen renommierten Museen ausgestellt: Museum of Modern Art, Metropolitan Museum of Art, Broad Foundation etc.

Erneut kommt es zu einer Zusammenarbeit zwischen einem Maler und einem Hip-Hop-Musiker. Condo und einer der einflussreichsten Rapper des 21. Jahrhunderts, Kanye West, der auch als Produzent, Modedesigner und Gründer der Content Company Donda Berühmtheit erlangt hat, gestalteten gemeinsam das Cover für Wests Album My Beautiful Dark Twisted Fantasy. Condos neo-expressionistischer Stil verleiht dem Albumcover einen hohen künstlerischen Anspruch. Dadurch erhofft sich Kanye West von der „seriösen“ Kunstszene anerkannt zu werden. Selbstverständlich schwingt dabei auch eine Selbstinszenierung mit, welche vermarktungsstrategische Gründe hat.

Inszeniert wurde auch im Rahmen eines anderen Projektes: Erneut trat ein Rapper gemeinsam mit einer Künstlerin auf. Kanye West hat zusammen mit der Künstlerin Vanessa Beercroft auf der Art Basel Miami Beach eine Performance inszeniert, welche als Teil der Gruppenshow Flaunt Magazine „Affordable Care“ am 4.12.2013 aufgeführt wurde.

Es stellt sich die Frage, ob dieses gegenseitige Befruchten nicht etwa zur Auflösung bestehender Kulturparadigmen führen könnte. Die US-amerikanische Unterhaltungsindustrie verschlingt mittlerweile beinahe jegliche subkulturellen und subversiven Kunstströmungen, wie es am Beispiel von Hip-Hop/Rap am besten zu erkennen ist. Wenn Musik für rein ökonomische Zwecke ausgeschlachtet wird, gehen bestehende und zukünftige frische Zugänge zum kreativen Schaffensprozess von genuiner Musik und dem Entstehen von authentischen Untergrundbewegungen verloren. So, wie es die  Rezeptionsgeschichte mehrmals aufgedeckt hat, können nur aus eben solchen authentischen Subkultur-Genres, wie Blues, Soul, Jazz, Folk, Punk, Hip-Hop/Rap, Reggae, New Wave, Shoegazing, Gothic Rock, Grunge, Cyber Punk, Pop Punk etc. originelle, neue Formen der musischen Kreativität hervorgehen.

Hip-Hop und Rap bilden da keine Ausnahme. Auf psychologischer Ebene werden durch diese extremen Aussagen Hunderte von Jahren Unterdrückung und Gefühle von Minderwertigkeit verarbeitet. Das Klischee des zu monetärem Reichtum gelangten afroamerikanischen Musikers beinhaltet extremes Prahlen durch Luxusgüter der lauten Art. Statussymbole, wie Luxusautos, riesige Penthäuser, schöne Frauen, Goldketten, Diamantenringe und teurer Schmuck etc., bestimmen die Welt dieser Musiker. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob dieser abgehobene, heuchlerische Lebensstil noch irgendetwas mit schwarzen Gettos, Straßengangs und Subkultur gemeinsam hat. Die Bedürfnisse der Afroamerikaner in den 1960er- und 1970er-Jahren waren Sicherheit, Bildungszugang, Gleichberechtigung und die Chance auf ein egalitäres Leben. Finden diese Straßenkids in ihren Helden noch Identifikationsfiguren? Die Wertesysteme sind die gleichen geblieben, doch spiegeln sie nicht mehr Emanzipation und Protest wider, sondern das Streben nach dem amerikanischen (Schein)Traum: Reichtum und Erfolg.

Der rasante soziale Aufstieg weiter oben angeführter Künstler hat selbstverständlich einen Trend wieder aufgenommen, der sich bereits zu Beginn der amerikanischen Postmoderne abgezeichnet hat. Der US-amerikanische Maler, Graffiti-Künstler und die Galionsfigur der New Yorker neo-expressionistischen Malerei- und Konzeptkunstszene der 1960er- und 1970er-Jahre, Jean-Michel Basquiat, hat nebst anderen bildenden Künstlern, wie Andy Warhol, Joseph Beuys, Jonas Mekas, Paul Morrisey oder Keith Haring, maßgeblich für die Weichenstellung der grundlegenden Merkmale der Hip-Hop-/Rap-Subkultur gesorgt, welche ihren Ursprung in den 1970er-Jahren hat. Farbenkombinationen, Slogans oder Kleidungsstile des direkten Umfeldes von Basquiat und Co. wurden später von den Ghetto-Kids der Hip-Hop-/Rap-Szene übernommen. Graffiti-Kunst gehört zu den fixen Bestandteilen der Hip-Hop-/Rap-(Sub)Kultur und ist heutzutage eine hoch anerkannte Kunstform, die weltweit Fuß gefasst hat.

Obwohl – wie schon in der Einleitung erwähnt – das Interesse der Hip-Hopper und Rapper für die autorisierte Kunstszene erst seit 3 bis 4 Jahren anhält, geht diese Entwicklung bereits auf die Anfänge der populären US-Musikgeschichte zurück. Jazzmusiker, wie Charlie Parker, Robert Coltrane, Thelonius Monk oder Miles Davis, bemühten sich zu Lebzeiten, als seriöse Kulturschaffende wahrgenommen zu werden. Angesichts der damals noch stark xenophob geprägten US-Gesellschaft war das eine außergewöhnliche Leistung. Später sollten Mitte der 1940er-Jahre Soul- (Count Bassie, Duke Ellington) und später Blues-Musiker (John Lee Hooker, B. B. King, Muddy Waters, T-Bone Walker) diese Tradition fortsetzen. Heutzutage sind Musik und Kunst zu einer Einheit zusammengeschmolzen und gelten als untrennbar. Diese Fusion oder Liaison ist vor allem wegen ihrer kulturhistorischen Notwendigkeit und Bedeutung nicht mehr wegzudenken. Musik wird schon längst als Kunst angesehen und auch der Hip-Hop/Rap hat sich einen hart erarbeiteten und viel verdienten fixen Platz im US-amerikanischen Kultur-Kanon erkämpft.

Die unmittelbare Reaktion der Performance-Künstlerin Marina Abramović nach ihrem Picasso-Baby-Auftritt mit Rapper Jay-Z war sehr negativ. Ihre eigenen Worte: „The experience was cruel, … he used me … I will never do it again, that I can say“ (Lanre Bakare: Marina Abramović: Jay Z Completely Used Me, in The Guardian, 19.05. 2015)  spiegelten ihre Enttäuschung wider. Sie meinte, dass Jay-Z der einzige Nutznießer dieser Performance-Aktion und das Ganze eine einseitige Transaktion war. Mit anderen Worten stieß eine prominente Vertreterin der US-Kunstszene den Versuch, mit Hip-Hop/Rap in Verbindung zu kommen, ab, obwohl eine Zusammenarbeit der Künstlerin mit der Musikerin Lady Gaga (The Abramovic Method Practiced by Lady Gaga, 08.08. 2013) ein voller Erfolg war.

Auf der anderen Seite fanden andere Kunstkritiker und Künstlerkollegen großen Gefallen an der Musik der Hip-Hopper/Rapper. Der Filmemacher Jim Jarmusch verwendete als Soundtrack für seinen Film Ghost Dog: The Way of the Samurai (1999) ausschließlich Hip-Hop und Rap-Nummern von dem Wu-Tang Clan, Killah Priest, RZA und Public Enemy. Zudem traten Rapper wie Eminem (8 Miles/2002), Ice-T (New Jack City/1991, Below Utopia/1997), Ice Cube (Anaconda/1997, All About the Money/2002), Gangster-Rapper 50 Cent (Escape Plan/2013, Southpaw/2015) etc. als Schauspieler oder Co-Produzenten in Filmen auf.

Es handelt sich um eine ambivalente und kontroverse Fusion, jedoch wird sich wahrscheinlich im Laufe der Zeit die Trennlinie zwischen Hip-Hop/Rap und Kunst nicht mehr erkennen lassen. Das Kunst-Establishment in den USA wird von denselben Faktoren wie die Musikindustrie getrieben: kommerzieller Erfolg, Verkaufszahlen, Medienpräsenz, Marketing. Auch Kunstkritiker haben schon längst die Notwendigkeit dieser Liaison erkannt und Musikjournalisten die Vielfalt der Hip-Hop-/Rap-Szene zu schätzen gelernt.

Es ist nicht zu weit hergeholt, an dieser Stelle zu behaupten, dass Hip-Hopper und Rapper diese Inklusion oder Integration in die Kunstszene eigentlich gar nicht mehr brauchen, weil sie schon längst ein fixer Bestandteil davon sind. Eine nicht sekundäre Bedeutung spielen dabei die horrenden Summen, welche in diese Branchen der Unterhaltungsindustrie hineinfließen. Kunstsammler und Investoren, wie russische Oligarchen, Ölscheiche oder eben Musiker und Produzenten, betrachten Kunst und Kultur allgemein als rentable Kapitalanlage und ermöglichen dadurch den Kulturschaffenden eine sehr große Vielfalt an Entwicklungsmöglichkeiten. Vor allem die Medienindustrie (Musikkanäle, Livekonzerte, Radiosender, Internet etc.) hat diese Musiksparte aufgegriffen und deren Vermarktungspotenzial erkannt. Die im Laufe dieser Arbeit angeführten Hip-Hopper und Rapper verdienen mittlerweile einige Millionen Dollar durch den Verkauf ihrer Alben und Fanartikel, wovon auch die Musikproduzenten, Musikstudios, Plattenfirmen oder Musikkritiker profitieren. Ein gesamter Industriezweig ist von der Produktivität und Erfolgsgeschichte dieser Musiker abhängig. Deswegen ist er auch nicht mehr aus der US-amerikanischen Gesellschaft wegzudenken. Vor allem durch das Internet verbreiten sich die Songs der Sprechgesangsvirtuosen wie ein Lauffeuer. Auf YouTube sind Klicks in Millionenhöhe zu finden.

Betrachten wir die Liaison zwischen Hip-Hop/Rap, ihren (ursprünglich) subkulturellen Werten, ihrer negativen Behaftung (Kriminalität, Straßengangs, Drogen, Waffengewalt, Sexismus, Hedonismus) und dem elitären, stark kulturpolitisch geprägten Kunst-Establishment der USA, so gelangen wir zu der Erkenntnis, dass beide Bestandteile eines viel größeren, übergeordneten Systems sind – Kommerzialisierung und Vertrieb. Letztendlich lebt die Unterhaltungsindustrie von diesen beiden Prämissen. In diesem übergeordneten System spielen kulturpolitische Trennungen keine Rolle mehr. Auch die inhaltlichen Eigenheiten der beiden Kulturbereiche überlagern sich und befruchten sich gegenseitig. Und wenn schon freche Attitüden und ein exzentrischer Lebensstil zu den Parolen der Kulturschaffenden allgemein dazugehören, dann sollte auch nicht mehr differenziert betrachtet werden.

 

Wien, den 08.10. 2016 © Tilman-Otto WAGNER

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